Der moderne Außenverteidiger
Der moderne Fußball verlangt auf jeder Position komplette Spieler. Und trotzdem gibt es immer wieder positionsspezifische Unterschiede, besonders in konditionellen Bereichen. Im zweiten Teil unserer Blogserie „Belastungsprofil eines Fußballspielers“ nehmen wir die Position des Außenverteidigers etwas genauer unter die wissenschaftliche Lupe.
"Die Sechserposition gilt ja als die zentrale Position im Spiel, du kannst von jeder Seite den Ball bekommen, bist praktisch bei jeder Aktion beteiligt und brauchst den 360-Grad-Rundumblick. Trotzdem stelle ich an mir selber fest, dass die Außenverteidiger-Position wohl noch komplexer ist". Mit diesen Worten wird Nationalspieler Joshua Kimmich vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zitiert. Die Nummer 32 des FC Bayern München muss es wissen, schließlich gibt es aktuell kaum einen besseren Rechtsverteidiger in der Bundesliga als den gelernten Sechser. Die Anforderungen an diese Position könnten höher kaum sein, nicht nur bezogen auf Technik und Taktik, sondern besonders auf die konditionelle Belastung der Spieler. „Man hat als Außenverteidiger zwar die Linie als Orientierung und Begrenzung, aber man hat viel mehr intensive Läufe, viel mehr wichtige Defensivzweikämpfe, und auf dem Flügel trifft man heute meistens auf die besten und schnellsten Spieler des Gegners und somit der Welt. Und am Offensivspiel sollte man sich im Idealfall auch noch beteiligen“ so Kimmich.
Die wissenschaftlichen Fakten
Die subjektiven Empfindungen und Erfahrungen des Nationalspielers, lassen sich mit beeindruckenden wissenschaftlichen Zahlen untermauern. Verschiedene Studien, welche die Leistungswerte der europäischen Top-Ligen in Meisterschafts- und Champions League Spielen von 2007–2015 auswerteten, kamen auf eine durchschnittliche Laufdistanz der Außenverteidiger von circa 11,0 km pro Spiel. Von dieser Laufdistanz fanden starke 782m in Form von hoch-intensiven Läufen (19-25km/h) und durchschnittlich 347m als Sprints (mehr als 25km/h) statt. Gerade im Vergleich mit den anderen Positionen merkt man, dass die Zeiten in denen Außenverteidiger als reine Verteidiger angesehen wurden, lange vorüber sind. Heute müssen sie defensive wie offensive Fähigkeiten vorweisen und besonders im Umschaltspiel immer wieder schnell lange Distanzen, teilweise von bis zu 50m am Stück, überwinden. Der häufige Wechsel zwischen Abwehr und Angriff zeigt sich auch in der Regenerationszeit zwischen hoch-intensiven Aktionen (>19,8 km/h), die mit 74 Sekunden, ganze 27 Sekunden kürzer ist als bei Innenverteidigern.
Dass solche Werte noch nicht lange zum Fußballalltag gehören, zeigt eine englische Studie am Beispiel der Leistungsentwicklung in der Premier League von der Spielzeit 2006/07 zur Saison 2012/13. In diesem Zeitraum konnte bei Außenverteidigern nämlich eine Zunahme von 35% bei hoch-intensiven Läufen und ganze 62% bei der Sprintdistanz, trotz annähernd gleichgebliebener Gesamtlaufdistanz, gemessen werden. Diese Werte stellten den größten prozentualen Zuwachs aller betrachteten Positionen dar. Als Ursache für diesen Wandel wurden Veränderungen in gespielten Systemen und Taktiken angesehen, weg von starren Formationen und hin zu dynamischen Spielphilosophien. Außenverteidiger sind von Trainern nicht mehr nur mit defensiven Aufgaben bedacht, sondern dürfen und sollen sich immer mehr in die Angriffsbemühungen des eigenen Teams einbinden. Sei es durch das Kreieren neuer Anspielstationen, spielen von Diagonalpässen oder sogar Flanken und Torschüsse.
"Mehr laufen, mehr sprinten!"
Eine Studie aus dem Jahr 2016 zum Thema positionsspezifische Spielanforderungen in unterschiedlichen Spielsystem unterstützt diesen Eindruck und bestätigt einen signifikanten Einfluss der Spielsysteme auf die Anforderungen der jeweiligen Positionen. Außenverteidiger laufen demnach in einem modernen 3-5-2 die größte Gesamtdistanz pro Spiel und legen auch die längste Strecke im hoch-intensiven Tempo zurück. Besonders im Vergleich zu den Leistungswerten im 4-4-2 wird deutlich, welchen Einfluss die modernen Spielsysteme auf das Belastungsprofil des Außenverteidigers haben: Mehr laufen, mehr sprinten!
Positionsspezifisches Training
Das Wissen um die steigenden Belastungen des modernen Außenverteidigers, muss nun im Training umgesetzt werden. Zunächst sollten sich Trainer der Möglichkeit bewusst werden, dass sie je nach Formation auch das Belastungsprofil ihrer Spieler verändern können. Im modernen 3-5-2 wird der Außenverteidiger höchstwahrscheinlich intensiver belastet als im 4-4-2. Ein positionsspezifisches Training ist somit äußerst sinnvoll, damit die Spieler den Anforderungen der Spielphilosophie gerecht werden können. Wie Joshua Kimmich richtig zusammenfasste, ist dies für den Außenverteidiger allerdings äußerst komplex. Dieser benötigt nämlich neben einer gut ausgebildeten Schnelligkeit für lineare Sprints auf der Außenbahn, auch eine ausgezeichnete Grundlagen-, sowie fußballspezifische Ausdauer, um dem ständigen Wechsel zwischen Traben, Laufen und Sprinten standhalten zu können.
Eine positionsspezifische Übung könnte folgendermaßen aussehen:
In diesem Übungsaufbau läuft der Außenverteidiger eine dem Anforderungsprofil entsprechende Distanz von 30-50m. Die Strecke wird mit einem Tempodribbling im hoch-intensiven Bereich absolviert und mit einem fußballspezifischen Element, der Flanke, abgeschlossen. Anschließend bewegt der Spieler sich im lockeren Jogging Tempo zur gegenüberliegenden Station. Die Pausen zwischen den Belastungen sollten für die Spieler an den Regenerationszeiten von 70-100 Sekunden ausgerichtet sein.
Als Steigerung der Belastung und Komplexität der Übung kann anschließend ein vorausgehendes „1 gegen 1“ auf der Außenbahn eingebunden werden. So wird garantiert, dass der Außenverteidiger in allen positionsspezifischen Komponenten trainiert wird.
Euer Team von planet.training